Merkel hatte Recht! Mit ihr (dem EuGH) wird es keine Maut in Deutschland geben!
Das Verkehrsministerium ist seit Jahren fest in CSU-Hand. Nach Ramsauer und Dobrindt dachte kaum jemand, dass es „schlimmer“ geht – dann kam Andreas Scheuer. Das Kernthema der CSU im Bereich Verkehr war stets die Einführung einer Maut für Pkw – schon durch Dobrindt angetrieben und in „trockene“ Tücher gebracht.
Was ist die Maut?
Fast alle Mitgliedstaaten der EU haben eine Maut, also eine Gebühr für die Nutzung der Straßen. Der Zweck ist einleuchtend – die NutzerInnen sollen an der Finanzierung für den Ausbau und Erhalt von Straßen beteiligt werden. Auch in Deutschland haben wir schon eine Maut für Fahrzeuge, die für den Güterkraftverkehr bestimmt sind oder verwendet werden und deren zulässiges Gesamtgewicht mindestens 7,5 Tonnen beträgt. Die Idee der CSU war es, eine Maut auch für Pkw-Fahrer einzuführen. Halter von in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Pkw würden verpflichtet, eine Jahresvignette zu erwerben. Im Gegenzug sollte jedoch eine entsprechende Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für Inländer erfolgen. Eine haushaltsgesetzliche Verbindung, wonach die Einnahmen aus der Maut auch nur für Straßenbau eingesetzt werden darf, sollte dagegen nicht existieren. Zudem sollen Halter von nicht in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Pkws eine Vignette erwerben müssen, die gestaffelt sind nach Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahresvignette. Die Krux dabei ist: Eine Verrechnung mit der Kraftfahrzeugsteuer kann selbstverständlich nicht erfolgen, da nur inländische Halter diese zu entrichten haben.
Ist dies problematisch?
Eindeutig ja! Die Maut (konkret: Infrastrukturabgabe) muss natürlich auch rechtlich umsetzbar sein. Und wie unterscheidet sich der Vorschlag von den anderen Regelungen in den EU-Staaten? Vereinfacht gesagt: Auch die jeweiligen Staatsangehörigen müssen die gleiche Maut entrichten. Allerdings sparen Einheimische dort faktisch auch, da Jahresvignetten meist preiswerter sind als die Kurzzeitvariante.
Zentrales rechtliches Problem ist ein Kernprinzip des EU-Rechts: das Verbot einer Diskriminierung, also einer Ungleichbehandlung, die an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Hier liegt eine (mittelbare) Diskriminierung von EU-Ausländern gegenüber Deutschen vor. Die wirtschaftliche Last dieser Abgabe liegt de facto allein bei den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland zugelassenen Fahrzeugen. Eine Diskriminierung kann grundsätzlich auch gerechtfertigt sein, ist es in concreto jedoch nicht. Eine Maut kann generell nach dem „Benutzerprinzip“ und dem „Verursacherprinzip“ erhoben werden. Aber auch deutsche Halter sind Benutzer und die geplante Regelung ist schon nicht dazu geeignet, ein Benutzerprinzip zu realisieren, wenn nicht alle Benutzer gleichermaßen beteiligt werden. In Wirklichkeit sind nämlich ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland zugelassenen Fahrzeugen betroffen, da nur diese faktisch für die Nutzung zahlen, während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen effektiv eine vollständige Rückerstattung erfolgt.
Schließlich liegt ein Verstoß gegen die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit vor, weitere Grundprinzipien des Unionsrechts, auf die jedoch nicht näher eingegangen werden soll.
Vom Gesetzesbeschluss bis zum Untersuchungsausschuss
Schon 2017 beginnen die Ausschreibungen zur Vergabe hinsichtlich des Betriebs und Umsetzung der Maut. Die Zweifel gegen die Maut sind jedoch groß, die Europäische Kommission erhob schon 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland – im Verkehrsministerium arbeitete man dennoch weiter (noch unter Dobrindt). Im Oktober 2017 legt Österreich Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein. Schon damals wurden Stimmen laut, die Vergabe auszusetzen. Unbeirrt davon wurde die Umsetzung weiter vorangetrieben und Ende 2018 der Auftrag zur Realisierung des Mautprojekts an Kapsch TrafficCom und CTS Eventim vergeben. Mit Urteil vom 18. Juni 2019 erklärte der EuGH die deutsche Maut/Infrastrukturabgabe für unvereinbar mit Unionsrecht und beendete damit das Projekt Maut!
Soweit so gut – wo ist nun das Problem?
Während der seit 2017 laufenden Vergabe wurde – aufgrund des laufenden Verfahrens vor dem EuGH und der drohenden Unionsrechtswidrigkeit – laut der Geschäftsführer der Bieterunternehmen das Angebot gemacht, den Vertragsabschluss bis zur Urteilsverkündigung aufzuschieben. Darauf hat Scheuer (bewusst) verzichtet – er hat sogar dem Bundestag gegenüber versichert, dass es solche Angebote nicht gab. Dem widersprachen wiederum die Geschäftsführer der beauftragten Unternehmen im Untersuchungsausschuss, der extra eingesetzt wurde, um die Verantwortlichkeit für das Mautdebakel aufzuklären. Die Frage ist: Warum sollten sie „lügen“?
Viel schlimmer dabei ist jedoch, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer – und wahrscheinlich auch sein Beraterteam – wirklich glaubten, dass die Maut in ihrer bisherigen Ausgestaltung unionsrechtskonform sei, was auch seitens der Rechtswissenschaft arg bezweifelt wurde. Stellvertretend dafür die Aussage des Ministers: „Ich habe eine andere Rechtsauffassung als der EuGH“ im Verhältnis zu den Aussagen der juristischen Sachverständigen in der Anhörung des Untersuchungsausschusses. Schließlich sind nach der Urteilsverkündung in einer scheinbaren Nacht- und Nebelaktion die Verträge mit den Betreiberunternehmen durch das Verkehrsministerium ebenso schnell gekündigt worden, wie sie am letzten Tag des Jahres 2018 geschlossen wurden – nun läuft das Schiedsgerichtsverfahren der beiden beauftragten Unternehmen bezüglich der Schadensersatzforderungen. Eine Kündigung wäre vermutlich vermeidbar gewesen, da eine Ausgestaltung der Maut auch unionsrechtskonform funktionieren würde – nämlich wenn alle Nutzer der deutschen Autobahnen eine Maut zahlen (ohne Verrechnung oder Rückzahlung!). Doch das würde dem erklärten Ziel der CSU-Ausländermaut widersprechen, andere für die Nutzung zahlen zu lassen.